Strasser, Karl (1869 – 1945), Architekt und Hochbaudirektor

Diese Kurzbiographie wurde verfasst von Karl Strassers Enkelin, Dr. phil. Elisabeth Bokelmann.
(Einige Ergänzungen durch Wilhelm Matzat sind durch Kursivschrift gekennzeichnet.)

strasserKarl Strasser wurde am 30. Juni 1869 in Aulendorf (Württemberg) geboren, wo sein Vater Rudolf Otto Albert Strasser als Architekt tätig war. Die Mutter war Maria Josepha, geb. Letzer, Tochter des Werkmeisters Andreas Letzer in Schwäbisch Gmünd. Nach dem Abitur an der Oberrealschule Stuttgart (möglicherweise auch am Gymnasium in Ludwigsburg, wo sein Vater ab 1876 als königl. Garnison-Baumeister tätig war) studierte Karl Strasser von 1888 bis 1892 Architektur an der Technischen Hochschule Stuttgart und schloss das Studium im Mai 1892 mit der Prüfung als Regierungsbauführer ab. Er trat in der Folge in den württembergischen Staatsdienst ein und wurde in der Militärbauverwaltung beschäftigt, unterbrochen vom 1.10.1892 bis zum 30.9.1893 durch seinen Wehrdienst. Nach der Entlassung kehrte er offenbar nicht in den württembergischen Staatsdienst zurück, sondern wechselte in den preußischen Staatsdienst. In der Funktion als Regierungsbauführer und Bauleitender war er in Saarbrücken tätig, allerdings nur 14 Monate lang, denn am 1.12.1894 wurde er in den bayerischen Staatsdienst übernommen und am 1.6.1896 zum Regierungsbaumeister ernannt.

Das Deutsche Reich hatte 1898 in China an der Kiautschou-Bucht ein Areal für 99 Jahre gepachtet, um dort einen Stützpunkt für den deutschen Handel und die ostasiatische Kreuzerdivision aufzubauen. Das Areal war dem Reichsmarineamt unterstellt worden und damit war es verantwortlich für den Aufbau einer ganz neuen Stadt mit der dazu gehörenden Infrastruktur. Die dortige Verwaltung benötigte ständig Architekten für den Hafenbau, Tiefbau und Hochbau. Das RMA wird sich an die deutschen Baubehörden gewandt haben mit der Bitte, von ihren beamteten Regierungsbaumeistern mal diesen, mal jenen zu beurlauben für eine befristete Tätigkeit in Tsingtau. In der Regel waren es Verträge über 4 Jahre. Es ist also legitim zu vermuten, dass Strassers bayerische Behörde an ihn herangetreten ist und gefragt hat, ob er bereit sei, für mehrere Jahre nach Tsingtau zu gehen. Das muss der Fall gewesen sein und ab 1.1.1900 war Strasser beurlaubt, fuhr daraufhin nach Tsingtau, wo er vermutlich im Februar oder März 1900 eingetroffen ist.

Strasser hat zwei Gouverneure dort erlebt. Zunächst Paul Jaeschke, der aber schon schwer krank war und am 27.01.1901 starb. Zum neuen Gouverneur wurde Kapitän z.S. Oskar Truppel ernannt, der aber erst am 7. Juni 1901 eintraf. Nach einigen Monaten wird dieser sich eingearbeitet und die wesentlichen Mitglieder seiner Verwaltung so weit kennen gelernt haben, dass er dem RMA seine Bewertung der einzelnen Personen mitteilen konnte. In diesem Schreiben lobt er die Qualitäten Strassers, meldet aber auch, dass er Schwierigkeiten mit seinem Vorgesetzten, dem Hafenbaudirektor Gromsch, hat. Truppel bedauert, dass er Strasser wahrscheinlich nicht wird halten können, und anscheinend hat dieser dann auch seinen Vertrag vorzeitig gekündigt. Den genauen Zeitpunkt kennen wir im Augenblick nicht, da die Familie Strasser einen anderen Termin nennt als die Daten aus Tsingtau. Die Familie sagt, Strassers Tätigkeit in Tsingtau sei Ende März 1902 beendet worden. Das Adressbuch Tsingtaus für das Jahr 1902-03 erschien am 18.09.1902 und meldet Strasser als Mitglied der Hochbauabteilung. Gromsch verließ Tsingtau im Nov. 1902. Strasser wird spätestens am 1.6.1903 in den bayerischen Staatsdienst zurückgekehrt sein, denn an dem Tage wurde er zum“ Garnisonbauinspektor“ ernannt. Er wohnte in Straubing.

In Tsingtau war man inzwischen zu dem Entschluss gekommen, die Bauverwaltung anders zu gliedern. Die bisherige Struktur hatte so ausgesehen: an der Spitze der gesamten Bau-verwaltung der Hafenbaudirektor, darunter 3 Abteilungen: Hafenbau, Tiefbau, Hochbau, jede Abteilung mit einem eigenen Chef. Wir haben oben gesehen, dass Strasser mit seinem Hafenbaudirektor Gromsch irgendwie nicht gut ausgekommen war. Offensichtlich brauchte Truppel 1904 einen neuen Leiter für die Hochbauabteilung, und er wird sich an Strasser, den er für befähigt hielt, gerichtet haben mit der Frage, ob er bereit wäre, die Leitung des Tsingtauer Hochbauamtes zu übernehmen. Offensichtlich hat Strasser zugesagt, allerdings mit mindestens zwei Bedingungen: Dauernde Anstellung (d.h. also als Beamter) und als alleiniger vollverantwortlicher Chef der Hochbauabteilung, ohne einen Hafenbaudirektor über sich. So ist es gekommen. 

Auf Strassers Antrag hin wurde er mit dem 14.2.1905 aus dem bayrischen Staatsdienst entlassen und ab 15.2.1905 in den Dienst des Reichsmarineamtes übernommen als Leiter der Hochbauabteilung im Pachtgebiet Kiautschou. Am 15.3.1905 trat er an Bord des Reichspostdampfers „Prinz Heinrich“ ab Genua die Reise nach Tsingtau an. Noch in München hatte der junge Mann eine junge Dame aus Hannover, Tilly (Mathilde) Warlich, kennengelernt und sich mit ihr verlobt. Ihm folgend machte sie sich im Sommer 1906 ebenfalls auf die Reise nach Tsingtau. In Hongkong holte der Bräutigam seine Verlobte ab; das Paar heiratete dort am 01.08.1906.

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Tilly Strasser mit Tochter Ingeborg

Als Strasser im Frühjahr 1905 nach Tsingtau zurückgekehrt war, war er noch Junggeselle und wohnte zunächst in der Bismarckstraße (Jiangsu Road) in der Villa Prüss. Nach seiner Heirat bezog das Paar im Hohenloheweg eine Mietwohnung im 1. Stock des Hauses an der Ecke mit der damaligen Lauschan Straße (jetzt Anhui Road). Von 1908 bis Juni 1912 wohnte im Erdgeschoss die Familie Miss. Conrad Miss war von 1901 bis Juni 1912 der kaufmännische Direktor der Tsingtauer Filiale der großen Altonaer Baufirma F.H. Schmidt. Aber auch Karl und Tilly Strasser zogen aus, wahrscheinlich wegen der Geburt des ersten Kindes, der Tochter Ingeborg, geboren am 5. Nov. 1911. Sie kauften draußen in dem sog. Villenviertel an der Auguste-Viktoria-Bucht das Grundstück Christweg 16 (heute Fushan Road 22). Zwischen Juli 1912 und Juni 1913 siedelten sie nach dorthin über. Aufgrund der jetzigen Datenlage ist nicht zu klären, ob Strasser sich das Haus selbst erbaute, oder ob er ein schon stehendes, älteres Gebäude kaufte. Die Katasterkarte vom 1.1.1914 zeigt nur an, dass Strasser der Eigentümer des Grundstücks ist, aber es ist kein Hausgrundriss ein-gezeichnet.

1913 war Strasser mit Frau und Tochter auf Urlaub in Deutschland.

Generell lässt sich wohl sagen, dass seine Hauptaufgabe als Hochbaudirektor darin bestand, die vielen gleichzeitigen Tätigkeiten seines Amtes zu koordinieren. Da er auch noch Chef der Baupolizei war, trägt letztendlich er die Verantwortung für die bauliche Gestaltung der Stadt Tsingtau, wie sie sich in den Jahren 1905 bis 1914 ergeben hat.

Wichtigstes Projekt der Amtszeit von Karl Strasser war die Erstellung einer repräsentativen Residenz für den deutschen Gouverneur. Der Entwurf zu diesem imposanten Gebäude, das heute als Museum dient und als Wahrzeichen von Qingdao gilt, stammt von Strassers Technischem SektretärWerner Lazarowicz. Im September 1905 begannen die Bauarbeiten am Signalberg. Dabei sollte, wie Strasser schrieb, versucht werden, „ein Haus in einer Güte der Bauausführung herzustellen, welche bis jetzt bei keinem Haus im Osten erreicht wurde“. Die Bauphase allerdings stand nicht unter einem glücklichen Stern. Die extreme Kälte der Winter 1905/06 und 1906/07, der Untergang mehrerer Schiffe, deren Ladung für den Bau unersetzlich war, der Mangel an handwerklich versierten Arbeitskräften und allerlei technische Probleme machten es nötig, mehrfach den Bezugstermin zu verschieben. Strasser musste sich gegenüber dem Gouverneur Truppel rechtfertigen und einen langen erklärenden Schriftsatz nach Berlin an den Staatssekretär des Reichs-Marine-Amtes v.Tirpitz richten. Als schließlich, nach zwei Jahren intensiver Bauzeit, das „Gouverneurwohnhaus“ im September 1907 bezogen wurde, zeigte sich, dass die vom Reichs-Marine-Amt bewilligten Mittel um einen wesentlichen Prozentsatz überschritten worden waren. Zudem war wegen des zeitlichen Drucks ohne von Berlin genehmigten Kostenvoranschlag gebaut worden. Strasser geriet in Erklärungsnot; höheren Orts wurde eine Untersuchung angestrengt. Mehrere Gutachten sprachen sich für Strasser aus. Gouverneur Truppel setzte sich in schriftlichen Stellungnahmen für den Hochbaudirektor ein und machte geltend, dass „die Bauleitung von vornherein vor eine unmögliche Aufgabe gestellt“ war. Die Untersuchung ergab schließlich keinerlei belastende Sachverhalte, sodass Strasser seine Amtstätigkeit unvermindert beibehielt und sich auch in der Folge keinerlei berufliche Nachteile aus der „Affäre“ ergaben.

Als der 1. Weltkrieg begann, am 1.8.1914, ordnete das Gouvernement an, dass die deutschen Frauen und ihre Kinder Tsingtau verlassen sollten, da mit einer Belagerung Tsingtaus durch die Japaner zu rechnen war. Frau Strasser und Tochter gingen also, mit vielen anderen deutschen Frauen, zunächst nach Tientsin und dann nach Peking.

Strasser selbst wurde am 18.08.1914 als Hauptmann der Landwehr a.D. zum Landsturm einberufen und nahm an der Verteidigung der Stadt teil. Nach der Besetzung Tsingtaus durch die Japaner am 07.11.1914 kam Strasser, ebenso wie die anderen Tsingtaukämpfer, in japanische Kriegsgefangenschaft, und zwar erst in das Lager Fukuoka, dann ab 22.03.1918 ins Lager Narashino.

Im Dezember 1919 wurde Strasser aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und kehrte nach Deutschland zurück, wo er am 25. Februar in Wilhelmshaven eintraf. Kurze Zeit später konnte er seine Frau und seine Tochter in die Arme schließen, die, aus den USA kommend, in Hamburg vom Schiff gingen.

Diese hatten sich, zusammen mit anderen Ehefrauen der ehemaligen Tsingtau-Deutschen, zunächst in Peking im Umfeld der deutschen Gesandtschaft aufgehalten. Als China am 14.03.1917 die Beziehungen zum Deutschen Reich abbrach, verließen viele Deutsche – vor allem natürlich die deutschen Diplomaten – China und bestiegen in Shanghai das Schiff, um über die USA nach Deutschland zu gelangen. Auch Frau Strasser hatte sich mit ihrer Tochter dieser Gruppe angeschlossen, doch erkrankte sie an Bord so schwer, dass sie, als das Schiff in San Francisco anlegte, ins dortige Krankenhaus eingeliefert werden musste. Nach längerem Krankenhaus-Aufenthalt ergab sich keine Möglichkeit mehr, nach Deutschland weiterzureisen. Da mittlerweile die USA sich im Krieg mit Deutschland befanden, galten Mutter und Tochter als interniert, mussten sich wöchentlich bei der Polizei melden und durften den Bezirk nicht verlassen. Immerhin erhielt Frau Strasser über das Schweizer Konsulat das Gehalt ihres Mannes ausbezahlt und fand eine Bleibe bei einer irischen Familie. Erst im Dezember 1919 erhielt sie durch die Vermittlung des Schweizer Konsulats die Reisepapiere für sich und ihre Tochter und konnte nach beschwerlicher Reise quer durch die USA im März 1920 in New York das Schiff in Richtung Deutschland besteigen, wo ihr – so der Stempel der Einreisebehörde vom 7.04. 1920 – „die Einreise gestattet“ wurde. Nach fünfeinhalb Jahren war die Familie wieder vereint.

Strasser selbst war nach seiner Rückkehr zum Regierungsbaurat ernannt worden und fand – keine leichte Aufgabe in diesen prekären Zeiten – eine Anstellung bei der Marineverwaltung in Bremerhaven. Mit Urkunde vom 27.05.1920 wurde ihm zudem das Recht zuerteilt, den Titel „Geheimrat“ zu führen. Wenig später wurde er als Leiter des Reichsvermögensamtes nach Koblenz versetzt; doch währte auch dieser Aufenthalt nicht lange. Es schloss sich eine Tätigkeit als Baureferent bei einer Behörde in Nürnberg an, bis schließlich 1925 die Versetzung ins Marineministerium nach Berlin die Hoffnung auf ruhigere Zeiten zuließ. 1929 konnte ein schönes Anwesen südlich von Berlin, in Dahlewitz, Kreis Teltow, erworben werden, das von nun an der Familie als Aufenthaltsort diente. 1934 wurde Karl Strasser mit allen Ehren in den Ruhestand verabschiedet, mit einer Urkunde, die die Unterschriften des Reichswehrministers von Blomberg und die des Reichspräsidenten von Hindenburg trägt.

Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs lebten Karl und Tilly Strasser in Dahlewitz, häufig umgeben von ihrer Tochter und drei Enkeln. 1944 wurde bei Strasser Diabetes festgestellt, ein Bein musste amputiert werden. Wenig später verstarb Karl Strasser am 11.02.1945. Einen Tag nach der Beerdigung ihres Mannes verließ Tilly Strasser das Haus in Dahlewitz in Richtung Süddeutschland, um sich mit ihrer Tochter und den Enkeln, angesichts des drohenden Einmarschs der Roten Armee in Sicherheit zu bringen. Nach abenteuerlicher viertägiger, von Luftangriffen begleiteter Fahrt auf dem Perron eines Lazarettzuges erreichte die kleine Gruppe München. Dort verstarb Tilly Strasser am 4.09.1957.