Neukamp, Hermann (1927 – 1987) und seine Tsingtau-Sammlung

Hermann Neukamp wurde am 15.12.1927 in Harbin geboren als Sohn des österreichischen Zahnarztes Anton Neukamp und der Alexandra Neukamp, geb. Kowal. Die Mutter, eine Russin, war auch bereits in Harbin geboren. Als die Japaner 1931 die Mandschurei besetzt hatten, siedelte die Familie 1932 nach Tsingtau über.

Von 1933 bis 1937 besuchte Hermann, zusammen mit seiner älteren Schwester Larissa, die Grundschule des Heilig-Geist-Klosters. 1937 wechselten die beiden dann zur deutschen Schule. Den Besuch dort beendete er 1943 mit der Einjährigen-Abschlussprüfung. Er ging dann nach Tientsin, weil dort die Klasse von 1943 bis zum Abitur geführt werden sollte. Zu dem für 1946 geplanten Abitur kam es nicht mehr, weil Hermann 1945 wegen des Kriegsendes nach Tsingtau zurückkehren musste. Dort wurde die deutsche Schule im Juni 1946 endgültig geschlossen, und in das Gebäude zog nun die American High School ein. Herman besuchte dort 1946/47 die letzte Klasse dieser Schule und kam so wenigstens zu einem Highschool Abschluss.

Anschließend unterrichtete er dann selbst an dieser Schule u.a. Mathematik und Physik. Wegen des immer stärker werdenden Heranrückens der Kommunisten setzte er sich im Frühjahr 1949 nach Shanghai ab, erlebte aber im Mai ihren Einmarsch dort. Als die BRD 1950 ein Schiff charterte, um die restlichen Chinadeutschen nach Hause zu bringen, fuhr Hermann mit. In Ludwigsburg fand er aufgrund seiner Englischkenntnisse eine Anstellung beim amerikanischen Militär als Verwalter der von ihnen bewirtschafteten Immobilien. Hier heiratete er und 1957 wurde die Tochter Kirsten geboren. Januar 1960 kam dann der Wechsel nach München in eine Export-Import Firma. Die Ehe wurde 1963 geschieden und in der Firma lernte er seine zweite Frau Edith kennen (Heirat 1965).  1971 zogen die beiden nach Neufahrn, wo sie ein Haus gekauft hatten.

Wie kam Hermann auf die Idee, in den letzten 10 Jahren seines Lebens sich so intensiv der Geschichte der Tsingtaudeutschen zu widmen? Von seinen Eltern, die 1954 nach Österreich zurückgekehrt waren, hatte er viele Fotos aus Tsingtau geerbt. Im Jahre 1976 fasste er den Plan, diese für seine Tochter in Fotoalben zu kleben und mit erklärendem Text zu versehen. Literatur über Tsingtau besaß er nicht. So fing er an, ehemalige  Schulkameraden anzuschreiben und zu fragen, ob sie einen Stadtplan oder Tsingtau-Führer aus früherer Zeit besäßen. Das war der Fall. Er lieh sich diese aus, kopierte alles und schickte die Originale wieder an die Eigentümer zurück. Dies brachte ihn irgendwie auf den Geschmack. Im Frühjahr 1977 fasste er den Beschluss, ein Tsingtau-Informationsblatt herauszugeben. Die Anregung dazu erhielt er durch den von Pfarrer Wolfgang Müller jährlich herausgegebenen Rundbrief, der stets aktuelle Informationen über Tientsin- und Chinadeutsche enthielt.

Hermann kannte Pfarrer Müller, den er 1943-45 als Lehrer an der Schule in Tientsin gehabt hatte. Aus diesem Grunde erhielt er auch stets den Tientsiner Jahresbericht. Von Dez. 1977 bis Dez. 1986 sind dann, unter dem Namen „Das Deutsche Eck“, 12 Ausgaben dieser Berichtsserie erschienen. Von Ausgabe zu Ausgabe wurde der Umfang größer. Hatte das erste Heft 6 Seiten, gab es bald Editionen mit 24, dann mit 34 Seiten. Der gesamte Text wurde von ihm mit der Schreibmaschine geschrieben. Die ersten Ausgaben wurden noch auf eine Matritze getippt und jedes Blatt mußte abgezogen werden, später gab es dann schon Xerokopierer, was die Vervielfältigung vereinfachte.

Eine andere erstaunliche Leistung war das Auffinden der Adressen ehemaliger Tsingtauer und anderer, die sich für Tsingtau interessierten. 1977 startete Hermann eine umfangreiche Suchaktion, versandte unzählige Anfragen, so dass er zum Schluss 600-700 Adressen hatte, an die er – kostenlos – die Exemplare des „Deutschen Ecks“ versandte. Natürlich haben viele Empfänger  Kosten durch Überweisung auf ein Konto erstattet. Es bleibt aber ein Rätsel, wie er diese Arbeitslast bewältigt hat, z.B. eine einzige Edition (34 Seiten) an 600 Empfänger zu versenden. – Da diese merkten, dass Hermann seine Sammeltätigkeit aus purem Idealismus heraus tätigte, ohne jegliche kommerzielle Interessen, wurden immer mehr originale Bücher, Briefe, Fotos, Biographien u.a. seiner Sammlung gestiftet.

Hermann Neukamp war ein starker Raucher. Leider ist er viel zu früh am 18.02.1987 an Lungenkrebs gestorben. Die Witwe, Frau Edith Neukamp, hat die Sammlung kostenlos der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek gestiftet. Eine Bedingung war, um die Ganzheit der Sammlung zu bewahren, dass auch die Bücher übernommen wurden. Normalerweise übernimmt eine Handschriftenabteilung keine gedruckten Bücher. Inzwischen gibt es ein gutes Register zu der Sammlung mit der Signatur Ana 517, die jeder im Lesesaal einsehen kann.