Hong Shu-zu (1858 – 1919), Kabinettsekretär

Arrangeur des Attentats auf Song Jiao-ren in 1913.

Hong Shu-zu ist unter den „Flüchtlingen“, die nach der chinesischen Revolution vom 10. Oktober 1911 sich in Tsingtau niedergelassen hatten, sicherlich der Exotischste. Über ihn gibt es einen Aktenbestand. Im Jahre 1913 war Yuan Shi-kai provisorischer Präsident der chinesischen Republik und hatte sich inzwischen die Feindschaft von Sun Yat-sens Partei zugezogen. Einer ihrer wichtigsten Führer, Song Jiao-ren, wollte am 20.März 1913 zu Verhandlungen nach Peking reisen. Beim Besteigen des Zuges in Shanghai wurde er von 2 Attentätern angeschossen, und er starb 2 Tage später. Die beiden Attentäter wurden verhaftet, der eine starb im Gefängnis, der zweite konnte später entkommen, wurde aber im Januar 1914 im Zug Peking-Tientsin erschossen. Durch schnell gefundene Dokumente ergab sich der Verdacht, dass das Attentat vom Ministerpräsidenten Zhao Bing-qun in Peking und seinem Kabinettsekretär Hong Shu-zu veranlaßt worden war. Um sich einer Untersuchungshaft und einer eventuellen Bestrafung zu entziehen, floh Hong nach Tsingtau, wo er am 26. März 1913 eintraf und im Prinz Heinrich Hotel Quartier nahm. Der Gouverneur von Schantung forderte daraufhin seine Verhaftung und Auslieferung. Für das Gouvernement in Tsingtau ergab sich nun die Frage, ob Hong an die chinesischen Behörden auszuliefern sei oder nicht. Der relativ umfangreiche Briefwechsel ist erhalten und Hans Christian Stichler hat den Fall in einem Aufsatz dargestellt: „Die deutsche Jiaozhou-Administration und das Attentat auf Song Jiao-ren“, in: Berliner China-Studien, Bd.21, 1994, S.359-74. Aus den Schreiben, die damals im Jahre 1913 zwischen dem Gouvernement in Tsingtau und der deutschen Gesandtschaft in Peking und dem Auswärtigen Amt in Berlin gewechselt wurden, bringt Stichler ausführliche Zitate. Warum er das tut ist schwer einzusehen, denn das Endergebnis der Affäre ist ganz undramatisch: Hong kann in Tsingtau bleiben. Die chinesischen Behörden waren anscheinend nicht mehr interessiert, da sie durch wichtigere Ereignisse des Jahres 1913 abgelenkt waren. – Zhao Bing-qun, Hongs gewesener Vorgesetzter, starb plötzlich am 27.2.1914.

Da die letzte Aktennotiz vom Oktober 1913 datiert ist, bricht Stichler damit abrupt seinen Aufsatz ab und informiert uns nicht über das weitere Schicksal des Hong Shu-zu. Offensichtlich handelte Stichler nach dem Prinzip aller Bürokratien: „Quod non est in actis, non est in mundo.“ Bei der Darstellung vom weiteren Ergehen des Hong gibt es mehrere Varianten. Das Lexikon von Boorman:“Biographical Dictionary of Republican China“, Bd.III, S.195 berichtet: Hong blieb in Tsingtau bis Yuan Shi-kai starb (im Juni 1916). Im Jahre 1917 kehrte er unter einem falschen Namen nach Shanghai zurück, wurde aber dort erkannt von Song Zhen-lü, dem Sohne Song Jiao-rens, und dessen früheren Sekretär, Liu Bai. Hong mußte sich in Shanghai einer Gerichtsverhandlung unterziehen, wurde dann den Behörden in Peking ausgeliefert, die ihn zum Tode verurteilten. Am 5.April 1919 wurde er hingerichtet.

Richard Wilhelm bringt eine viel dramatischere Schilderung in seinem Buch „Die Seele Chinas“ in dem Kapitel „Die Alten in Tsingtau“ (1. Auflage, S.228-29). Laut seiner Version hat er bereits bei Kriegsausbruch, also im August 1914, Tsingtau verlassen. Er schreibt:

„Besonders ist mir noch in Erinnerung ein gewisser Hung Schu Tsu. Er war des Mords an dem Führer der Südpartei der Republikaner, Sung Kiao Jen, beschuldigt und hatte sich nach Tsingtau geflüchtet. Er war ein fetter, schwerer Mann. Er hatte sofort das Haus eines Beamten gekauft, weil er sich darin sicherer fühlte. Aber er war das Bild des von Furien gepeinigten bösen Gewissens. Keinem konnte er in die Augen sehen. Die trockene Zunge beleckte fortwährend die ausgedörrten Lippen in vergebenem Bemühen sie anzufeuchten. Er war in steter Furcht, ausgewiesen zu werden, denn dann war er des Todes. Die Kriegsfurcht (im August 1914) erwies sich aber schließlich doch als stärker. Er kam auch zu mir, daß ich ihm eine Fahrkarte besorgen sollte. Ich fragte ihn, ob er sich nicht doch in Tsingtau sicherer fühle. Er verneinte und sagte, er sei für alle Fälle gerüstet. Er hatte sich nämlich von einem deutschen Arzt ein Zeugnis ausstellen lassen, daß er nicht geköpft werden könne, da er eine große Geschwulst am Halse habe. Schließlich hat ihn aber doch sein Schicksal erreicht. Der Sohn des Ermordeten hat ihn aufgegriffen. Es wurde ihm dann der Prozeß gemacht, und trotz des ärztlichen Zeugnisses wurde er zum Tode durch den Strang verurteilt. Das bekam ihm aber nicht gut, denn richtig ging dabei der Kopf ab, und der Leib fiel schwer zur Erde. Für das chinesische Gefühl bedeutete das eine große juristische Schwierigkeit, denn die Trennung des Kopfes vom Leib gilt wegen der unangenehmen Folgen im Jenseits als härtere Strafe wie einfaches Hängen. Die Familie soll die Sache anhängig gemacht haben, und es heißt, sie habe Schadenersatz bekommen, und man habe den Kopf nachträglich wieder angenäht“.

Die Logik von R.Wilhelms Darstellung ist nicht ganz einsichtig. Hong hatte ein Zertifikat gegen das „Geköpftwerden“, was üblicherweise durch ein Schwert vollzogen wurde. Beim Erhängen bleibt „normalerweise“ der Kopf am Leibe. Wilhelm unterscheidet anscheinend zwischen einem „einfachen Hängen“, wie er schreibt, und einem – was? Einem nicht-einfachen Hängen? Man berichtet von chinesischen Schwerverbrechern, dass sie sich häufig weigerten, ein Schuldgeständnis abzulegen, weil sie dann unweigerlich enthauptet wurden. Eher ließen sie sich zu Tode foltern, damit sie im Jenseits m i t Kopf vor ihren Verbrechergenossen erscheinen konnten.
Die „Mitteilungen für China-Deutsche“, 1. Jhg., No. 2, Berlin 15.6.1919 bringen auf S.5 noch eine dritte Variante: „Hung Schi-dsu wurde zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt. Er legte beim Reichsgericht in Peking Berufung ein, das ihn zum Tode durch Enthauptung verurteilte. Die Todesstrafe wurde Anfang April 1919 vollzogen.“ Daraus ergibt sich, dass R. Wilhelms Darstellung vom Erhängen, bei dem der Kopf abgerissen wurde, offensichtlich nicht richtig ist. Dass der Kopf nachträglich wieder angenäht wurde mag durchaus stimmen.
In Tsingtau hat man Hongs Aufenthalt dort nicht so schnell vergessen. 1927 publizierte Adolf Haupt seinen „Führer durch Tsingtau.“ Eine zweite, aktualisierte Auflage dieses Führers erschien 1934 nur auf Englisch. Im Abschnitt über den Laoshan befindet sich ein Foto von Hong Shu-zus ehemaligem Haus im Laoshan.