Brücher, Dr.phil. Max (1873-1924), Bergwerksdirektor und Bruecher jun., Dr.rer.pol. Max (1910-1986), Firmenmanager

Max Brücher sen. wurde am 31.10.1873 geboren zu Grube Brüche bei Müsen im Kreise Siegen, Westfalen, als Sohn des Grubenverwalters Ludwig Brücher und der Auguste, geb. Stahlschmidt. Die Eltern zogen 1876 nach Siegen, dort besuchte er von 1879-83 die Elementarschule und von 1883-92 das Realgymnasium. Er folgte der Tradition seiner Familie und wandte sich dem Bergmannsberufe zu. Von Ostern 1892 bis Ostern 1893 absolvierte er eine praktische Lehrzeit als Bergmann. Dann studierte er in München und Berlin und der TH Aachen. 1896 wurde er nach bestandener Prüfung zum Kgl. preußischen Bergreferendar ernannt und arbeitete anschließend erst im Saarrevier, dann in Westfalen im praktischen Grubenbetrieb des Kohlenbergbaus und erweiterte seine Kenntnisse durch Besuch der Kohlenfelder Südwestrusslands. Ende 1900 wurde er zum Bergassessor ernannt, und wenig später promovierte er an der Universität Erlangen am 8.2.1901 mit einer geologischen Studie zum Dr. phil.  Der Titel seiner Arbeit lautet: „Der Schichtenaufbau des Müsener Bergbau-distrikts: die daselbst auftretenden Gänge und die Beziehungen derselben zu den wichtigsten Gesteinen und Schichtenstörungen.“ (Das ehemalige Bergmannsdorf Müsen liegt im nördlichen Siegerland und ist jetzt eingemeindet zu Hilchenbach.)  Bergassessor geworden, war er als Berginspektor wieder im Saarrevier tätig und wurde dann Lehrer an der Bergbauschule zu Bochum.

1899 war in Berlin die Schantung-Bergbau-Gesellschaft gegründet worden, die dann im Hinterland von Tsingtau Kohlenzechen bei Fangtse und Hungschan einrichtete. Der erste technische Direktor vor Ort in Tsingtau war von 1899 bis 1904 Dr. Hermann Michaelis, der das Direktions- und Wohngebäude am Kaiser-Wilhelm-Ufer, Ecke Bismarckstraße, errichtete. Sein Nachfolger wurde Brücher, der von 1904 bis 1914 die Leitung in Tsingtau übernahm.

Als Brücher nach Tsingtau kam, war er offensichtlich bereits verheiratet. Seine Frau Henriette Wilhelmine, geb. Hauck, war 26.11.1878 in St. Johann geboren worden. Da sie aus dem Saargebiet stammte, kann man davon ausgehen, dass Brücher sie kennenlernte, als er als Berginspektor im Saarrevier tätig war. Dem Paar wurden 3 Töchter und ein Sohn geboren. (Genauere Daten dazu am Schluss des Artikels.)

Lotti Kohls, geb. Kunze, die 1902 in Tsingtau geboren wurde, hat 1943 die Erinnerungen an ihre Jugendzeit in Tsingtau (1902-14) in anonymer Form veröffentlicht unter dem Titel: „Kordula Konrad. Tsingtaumädels Jugendweg.“ Tientsin 1943. Alle Personen, die sie erwähnt, haben damals tatsächlich dort gelebt, sie gibt den Familien zwar andere Namen, die aber so ähnlich sind, dass jeder Tsingtauer sofort weiß, wer gemeint ist. In Kapitel 2 schildert sie einen Besuch im Haus und bei der Familie ihrer Freundin Annelies Brückner. Dieser Name steht für Brücher! Die Namen der Kinder ändert sie nicht, sondern erwähnt aus-drücklich Annelies, Gustel, Hildegard und Max jun. Das Haus am Kaiser-Wilhelm-Ufer, in dem die Familie Brücher von 1904-14 wohnte, steht auch heute noch (gemeint ist das Jahr 2008).

Der Kohleabbau war für die Schantung-Bergbau-Gesellschaft nur zum Teil erfolgreich. Es gab auch mindestens 2 schwere Bergwerksunglücke mit Todesfällen. Die Kohle in Fangtse erwies sich als minderwertig und eignete sich eigentlich nur als Hausbrandkohle. Zum Glück besaß die Kohle des Hungschan Reviers eine sehr gute Qualität. Im Jahre 1912 besuchte Prinz Heinrich von Preußen, der Bruder Kaiser Wilhelms II., das Pachtgebiet. Ernst Grosse, damals Bezirksamtmann des Landgebietes, schildert in seinen „Ostasiatischen Erinnerungen“, München 1938, S. 114 eine Episode: „Der Prinz fuhr mit einem der Schiffe des Kreuzer-geschwaders zur Grabstätte der Iltis-Mannschaft am Schantung-Kap [ca. 190 km von Tsingtau entfernt]. Auf der Rückfahrt ließ er Volldampf aufmachen. Er wollte die Güte der Kohle prüfen, die von der deutschen Schantung-Bergbau-Gesellschaft übernommen waren. Der technische Direktor der Gesellschaft [Brücher] hatte ihm die Verwendbarkeit der Kohlen auf Kriegschiffen gerühmt. Der Prinz stieg in den Heizraum und stellte fest, dass die Kohlen die Roste verschlackten. In Tsingtau angekommen, befahl er den Direktor [Brücher] an Bord. Dieser soll keine Schmeicheleien zu hören bekommen haben. Der Prinz wollte auf dieses Erlebnis hin die Kohlenbergwerke im Inneren der Provinz Schantung besichtigen. Eines Morgens war er aus Tsingtau verschwunden. Er war mit dem technischen Direktor der Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft [Peter Hildebrand] heimlich ins Innere gefahren.“

Die Schilderung von Ernst Grosse ist undurchsichtig und historisch z.T. nicht richtig. Aus dem (ungedruckten) Tagebuch des Prinzen Heinrich kann ich entnehmen, dass der Prinz am 15. und 16. Okt. 1912 zunächst nicht nur mit Hildebrand sondern auch mit Brücher das Kohlenbergwerk Hungshan (330 Bahnkilometer von Tsingtau entfernt) besichtigte. Erst hinterher fand dann am 17. Oktober die Schiffahrt zum Schantung Kap statt. Der Prinz notiert in seinem Tagebuch lediglich, dass das Schiff, die SMS „Gneisenau“, auf der Rückfahrt vom Iltis Friedhof eine 6stündige forcierte Fahrt ausführte, und dass Brücher dabei war, um sich über das Verhalten der Kohle zu orientieren. Mehr ist aus den Schilderungen von Grosse und Prinz Heinrich nicht zu entnehmen. Es bleibt völlig offen, ob es sich bei dem Test um die schlechte Fangzi oder die gute Hungshan Kohle gehandelt hat. Irgendwie ist man als heutiger Leser erstaunt, dass 10 Jahre nach Beginn des Kohleabbaus man noch nicht über die Eignung der Schantung Kohle für die damalige moderne Schiffahrt informiert gewesen sein soll!

 

Die Einkünfte der Bergbau-Gesellschaft waren im Laufe der Zeit so gering, dass ihr Vermögen 1913 an die gut florierende Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft übertragen wurde. Eigentümlicherweise hatten beide Gesellschaften von Anfang (1899) an Karl Schmidt vor Ort in Tsingtau als gemeinsamen kaufmännischen Direktor. Das Grundkapital der Eisenbahn-gesellschaft wurde von 54 auf 60 Millionen Mark erhöht, 60000 Aktien zu je 1000 Mark. Ab 4.4.1913 firmierte die einst selbständige „Schantung-Bergbau-Gesellschaft“ unter dem Namen: „Bergbaudirektion der Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft“. Brücher blieb der Leiter dieser Bergbaudirektion bis zum Kriegsausbruch im August 1914. Seine Familie schickte er daraufhin nach Hungshan, er selbst wollte bei der Verteidigung Tsingtaus mitwirken und meldete sich als Leutant d.R. zu den Pionieren. Warum er dann doch noch vor der Besetzung durch die Japaner die Stadt verließ, schildert Vollerthun in seinem Buch: „Der Kampf um Tsingtau“, S.86-87: „ Ein tragisches Schicksal ereilte den kaufmännischen Direktor der Schantung-Eisenbahngesellschaft, Karl Schmidt. Bis zum letzten Augenblick hatte er auf seinem Posten in Tsingtau ausgehalten, um dann mit einer der letzten Bootsgelegenheiten nach dem Innern zu gehen. Schmidt war langjähriger Ostasiate und glaubte die Japaner zu kennen. Er täuschte sich gründlich. Als er auf die Nachricht von der Besetzung der chinesischen Kreisstadt Kiautschou dorthin eilt, um mit dem japanischen Befehlshaber zu verhandeln, wird er samt den Betriebsbeamten, deren man habhaft werden konnte, einfach gefangen gesetzt. Kein besseres Los traf die Bergwerke in Fangtse und Hungschan. Die Gruben stellten natürlich rechtzeitig den Betrieb ein, und das Wasser tat das seine, um sie für lange Zeit unbrauchbar zu machen. Als die Japaner sahen, dass sie aus eigener Kraft wohl nicht Herr des Grubenbetriebes werden würden, boten sie alles auf, um mit List oder Gewalt sich der Person des Bergwerkdirektors Brücher zu bemächtigen. Nach der Verwaisung der Gesellschaft durch die Gefangennahme von Direktor Schmidt hielt das Gouvernement es aber für geboten, jenen freizugeben, damit er sich der Interessen seiner Gesellschaft annehmen könne.“ Brücher machte den waghalsigen Versuch, durch die inzwischen vollkommen gewordene Einschließungskette der Japaner durchzubrechen, was ihm auch gelang. Am 25.9.1914 verließ er Tsingtau über das Kap Jaeschke und das Perlgebirge und traf am 27.9. früh in Tschutscheng ein. Er wollte nach Fangtse, kam aber am 29.9. nur bis Ankiu, wo er hörte, dass die Japaner Fangtse bereits besetzt hatten. So musste er nach Tschutscheng zurückkehren. Er stellte fest, dass die chinesische Bevölkerung gegen ihn als Deutschen sehr unfreundlich war, denn die Japaner hatten eine Belohnung von 200.- $ für jeden verratenen Deutschen versprochen. Mit Unterstützung der Mission ging er am 1.10. von dort über Ishui quer durch das Gebirge nach Poschan, wo er sich einige Tage aufhielt. Am 7.10. brach er nach Tsinan auf, kam dort am 9.10. an. Seine Familie hatte schon längst Hungshan verlassen müssen und war nach Shanghai weitergezogen.  So begab er sich auch dorthin. Schließlich schickte er im Jahre 1916 seine Familie  nach Deutschland. Er nutzte die folgenden Jahre zu ausgedehnten Reisen im mittleren, westlichen und nördlichen China, das er bergbaulich und geologisch durchforschte. Die wissenschaftlichen Resultate dieser Tätigkeit publizierte er von 1922 bis 1924 in einer langen Artikelreihe in der Fachzeitschrift „Glückauf“. Als nach Kriegsende die Briten die Ausweisung der Deutschen aus China durchsetzten, wurde Brücher vom Gouverneur von Anhui als bergbaulicher Sachverständiger und Berater reklamiert und zurückgehalten. So konnte er bereits 1920 seine Familie nach Wuhu, Anhui, holen. Als der Gouverneur im Herbst 1921 starb, siedelte Brücher mit Familie nach Shanghai über. Dort wurde er für den Rhein-Elbe-Siemens-Schuckert-Konzern tätig. Im November 1924 kehrte er von einer längeren Geschäftsreise aus dem Norden erkältet nach Shanghai zurück und erlag nach kurzer Krankheit am 24. Nov. einer Lungenentzündung.

Die Witwe, Frau Wilhelmine („Minna“) Brücher kehrte daraufhin nach Tsingtau zurück, wo sie in der Haiyang Road 3 eine Pension einrichtete. Mit ihr nach Tsingtau gingen auch die älteste Tochter Anneliese und der Sohn Max. Im Jahre 1931 wurden Frau Brücher und die Tochter Anneliese von einem tollwütigen Hund gebissen. Während Anneliese überlebte, starb Frau Bruecher am 21.4.1931 an den Folgen des Bisses. Die Leiche wurde eingeäschert und es kam auf dem Tsingtauer Europäischen Friedhof zur Beisetzung von 4 Urnen: die von Dr. Max und Wilhelmine Brücher, sowie des Schwiegersohnes Dr. med. Martin Plog (+ Shanghai 1.7.1927) und des Enkelkindes Liselotte Waetcke (+ Shanghai 22.11.1928).

Das Paar Max und Wilhelmine Brücher hatte 4 Kinder:

1) Anneliese. Ging August 1914 mit der Mutter und den Geschwistern nach Shanghai, dann nach Deutschland, ab 1920 wieder in China. Sie kehrte 1924 mit ihrer Mutter nach Tsingtau zurück und arbeitete als Sekretärin für verschiedene Firmen, u.a. für Melchers & Co und als Vertreterin für den Verlag Max Nössler in Shanghai. Sie überlebte 1931 den Biss des tollwütigen Hundes. Nach dem Tode ihrer Mutter im April 1931 führte sie die Pension weiter, allerdings jetzt in der Laiyang Road 4, war aber gleichzeitig als Sekretärin bei Melchers & Co. beschäftigt. 1935 kehrte sie nach Deutschland zurück und ist 1944 verstorben.

2) Gustel. Sie heiratete nach 1921 den Arzt Dr.med. Martin Plog, der bis 1926 Arzt am Faberkrankenhaus in Tsingtau war, dann nach Shanghai ging. Plog wurde am 4.5.1893 in Schwerin geboren, machte 1914 das Abitur. War dann Kriegsteilnehmer und studierte anschließend Medizin in Jena, Rostock und Kiel, wo er am 13.5.1921 promovierte. Er verstarb bereits am 1.7.1927 in Shanghai.

3) Hilde. Sie heiratete nach 1921 in Shanghai H.M.Wilken Waetcke, Mitinhaber der Firma H.A.Westphal & Co. Herr Waetcke war schon vor 1914 in Shanghai tätig und hatte an der Verteidigung Tsingtaus teilgenommen, war deshalb von Nov. 1914 bis 1919 in japanischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Die Tochter Liselotte starb am 22.11.1928 als Kleinkind.

4) Max jun., * 18.12.1910 in Tsingtau. Von August 1914 bis 1916 mit der Mutter und den Schwestern in Shanghai, dann in Deutschland. Kam 1920 mit der Mutter und den Schwestern zurück zum Vater in Wuhu, Anhui. Ab Herbst 1921 in Shanghai, wo er die Kaiser-Wilhelm-Schule besuchte. Nach dem Tod des Vaters ging er Ende 1924 mit der Mutter nach Tsingtau und besuchte die deutsche Schule bis 1926, bestand die Abschlussprüfung (Mittlere Reife). Ging dann nach Deutschland, legte 1929 das Abitur an der Oberrealschule in Bremen ab. Dann Studium der Volkswirtschaft, von 1929-30 an der Univ. Freiburg und von 1930-33 in Berlin. Seine Wohnung hatte er bei Schmidt-Imbrek in Potsdam, Kaiser-Wilhelm-Str. 20. Am 27. Januar 1933 legte er sein Examen als Diplomvolkswirt ab. War dann praktisch tätig, immatrikulierte sich 1934 aber wieder an der Universität Freiburg i.B. und promovierte am 26.1.1939 zum Dr.rer.pol. mit der Studie: „Schicksale der Unternehmerinitiative seit dem Ausbruch des Weltkrieges in Deutschland.“ (Freiburg 1938, 107 Seiten.)

Während des 2. Weltkrieges wurde Bruecher zum Militärdienst eingezogen und scheint u.a. beim Luftwaffenführungsstab eingesetzt worden zu sein. Anscheinend hatte er dort genügend Muße, ein Buch zu schreiben, mit dem Titel: „China und Japan. Gegensätze u.Gemeinsames.“ Es erschien 1941 in dem Leipziger Verlag Schwarzhäupter, hat 71 Seiten, und wurde von dem Luftwaffenführungsstab Ic/VIII herausgegeben.

Nach dem Krieg war Dr. Max Bruecher jun. bis zu seiner Pensionierung Manager in den verschiedensten Industriefirmen, z.T. als Mitinhaber. So wohnt er 1955 in Frankfurt/Main, Neue Mainzer Str. 40-42 und ist Teilhaber der Firma Deutimex & Bruecher oHG sowie Geschäftsführer der Rheinstahl Industrie Planung GmbH, Essen, Bismarckstr. 3. 1961 ist er nachweislich Geschäftsführer in Düsseldorf bei Coutinho, Caro & Co. 1962 ist er Vorstands-mitglied bei der Universum Film AG, Berlin, und der UFA Filmtheater AG, Düsseldorf.

Zum Schluss wohnte er in Freiburg i.B., Maximilianstr. 8. Im Jahre 1980 veröffentlichte er die Studie: „Freiburg im Breisgau 1945. Eine Dokumentation.

Max Bruecher hatte offensichtlich gute Beziehungen zu der Familie des 1929 verstorbenen Prinzen Heinrich von Preußen, dem Bruder Kaiser Wilhelms II.  In den 1970iger Jahren konnte Max von den handgeschriebenen Tagebüchern des Prinzen einige Bände ausleihen und von bestimmten Partien eine maschinenschriftliche Abschrift anfertigen. Es ist mir nicht bekannt, wo sich heute diese Abschriften befinden. Die Original Tagebücher des Prinzen Heinrich sind jetzt in der Bibliothek des Internationalen Maritimen Museums in Hamburg (Peter Tamm Stiftung).

Am 11.1.1986 ist Bruecher in Freiburg verstorben.

War verheiratet mit Ruth Bassermann. Aus dieser Ehe die Tochter Alexa. Sie heiratete Michel Kramer, das Paar hat 2 Söhne: Olivier und Patrick.

Max Bruecher jun. legte Wert darauf, seinen Familiennamen nicht als Brücher sondern als Bruecher zu schreiben.