Matzat, Dorothea – geb. Werdermann (1893-1946)

Zusammengestellt für die Festschrift zum 100jährige Jubiläum der „Evangelischen Fachhochschule Berlin“ im Sommer 2004.

Geboren am 21. Juli 1893 in Friedersdorf bei Doberlug in der Niederlausitz als Tochter des Pfarrers Ferdinand Werdermann und seiner Ehefrau Hedwig, geb. Hecker.

Ab dem 6. Lebensjahr Besuch der Volksschule in Friedersdorf, dann ab 1905 zusammen mit der 2 Jahre jüngeren Schwester Unterricht durch eine Hauslehrerin. Als diese Schwester 1908, nur 13jährig, starb, kam Dorothea auf eine kleine Privatschule für Mädchen in dem Dorf Gramzow in der Uckermark, die von 2 alten Damen geleitet wurde. Diese Schule führte nur bis zum Abschluß der Mittleren Reife. Im Sommer 1910 beendete Dorothea ihren Aufenthalt dort. Als einzige Fremdsprache hatte sie, schon bei der Privatlehrerin und dann in Gramzow, etwas Französisch gelernt.

Da Ihr Vater gegen Ende des Jahres 1910 die Pfarrstelle gewechselt hatte und nun Pfarrer in Kraatz bei Gransee wurde, war Dorotheas Heimatort nun dieses Dörfchen Kraatz. In den Jahren 1911 bis Sommer 1914 hat sie einerseits oft und viel im gastfreundlichen elterlichen Pfarrhaus ausgeholfen – beim Essen waren meistens 10-12 Personen anwesend – aber auch sich darum bemüht, praktische Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben. In der 4 km entfernten Kleinstadt Gransee nahm sie Nähstunden und lernte das Buchbinden. 1912 absolvierte sie einen Kurs an der Frauenschule in Stettin und schloß ihn ab mit dem einfachen Haushaltungsexamen. In Halle nahm sie an einem Lehrgang in Putzmacherei teil.

Mit Ausbruch des Krieges im August 1914 trat sie in den Evangelischen Diakonieverein e.V. ein (das Heimathaus war in Zehlendorf) und erlernte am Altstädtischen Krankenhaus in Magdeburg die Krankenpflege. Nachdem sie dort am 20.7.1915 das staatliche (Not-)Krankenpflegeexamen mit der Note „sehr gut“ gemacht hatte, war sie bis zum Kriegsende in verschiedenen Lazaretten tätig. Zunächst in Arnstadt in Thüringen, dann ab 1917 in Berlin-Hasenheide im Lazarett „Neue Welt“, ab 1918 in einem Barackenlazarett in Berlin-Tempelhof. Mit Kriegsende kehrte sie zu ihren Eltern in Kraatz zurück.

Im Sommer 1919 lernte sie bei einem Schuhmacher in Gransee das Schustern. Vom 14.10.1919 bis zum 31. Juli 1920 besuchte sie in Berlin die Oberstufe der Frauenschule der Inneren Mission, um sich in die Aufgaben der sozialen Arbeit einführen zu lassen. Die Schule befand sich damals unweit des Nollendorfplatzes in Berlin-Schöneberg, Motzstraße 11 (später umnummeriert in 14). Vor der Prüfungskommission des Evangelischen Konsistoriums der Mark Brandenburg bestand sie am 26.7.1920 die Prüfung für Katechetinnen mit der Note „gut“. Damit erwarb sie die Berechtigung, evangelischen Religionsunterricht im Auftrage der Landeskirche für die Volksschulstufe zu erteilen. (Die damalige Frauenschule der Inneren Mission nennt sich heute Evangelische Fachhochschule Berlin. Sie feierte 2004 ihr 100jähriges Bestehen.)

Im Februar 1919 war sie in Gransee dem Missionskandidaten Willy Matzat von der Berliner Missionsgesellschaft begegnet. Ihr Bruder, Lic.theol. Dr.phil. Hermann Werdermann, war 1918 Pfarrer in Gransee geworden und hatte Matzat zu einem Vortrag über die Aufgaben und Ziele der Äußeren Mission eingeladen. Danach blieben Willy Matzat und Dorothea Werdermann per Briefwechsel in Kontakt, und am 14.2.1920 verlobten sich die beiden.

Ende 1920 begab sie sich nach Frankfurt am Main, wo sie vom 30.12.1920 bis 1.3.1921 in der Dr. Christ’schen Entbindungsanstalt die Wochenpflege erlernte. Auf dem Zeugnis steht: „Sie hat sich in der Pflege von Wöchnerinnen und Neugeborenen sehr gute Kenntnisse erworben.“
Ihr Verlobter konnte sich immer noch nicht auf eines der Missionsfelder in Afrika begeben, da die Einreise von Deutschen in die britischen Kolonien noch nicht erlaubt war. Er nahm daraufhin von Juni 1920 bis Januar 1922 die Vertretung einer vakanten Pfarrstelle in Groß-Weißuhnen in seiner Heimatprovinz Ostpreußen an.

Als er in das Pfarrhaus zog, war es völlig leer. Er mußte sich erst einmal Bett, Tisch, Stuhl, Schrank usw. selbst zimmern. Endlich ergab sich für ihn die Möglichkeit der Ausreise, aber nicht nach Afrika sondern nach Nordchina auf die Missionsstation Tsimo bei Tsingtau. Das Ungewöhnliche an dieser Aussendung war die Tatsache, daß er seine Braut, als Ehefrau, gleich mitnehmen sollte. Normalerweise pflegte ein Missionar, wenn er zum ersten Male auf sein Missionsfeld geschickt wurde, vor Ort zunächst alleine zu wirken, um sich einzuarbeiten und die Sprache der dortigen Bevölkerung zu erlernen. Die Verlobte durfte in der Regel erst 2 Jahre später nachkommen.

Dorothea und Willy Matzat heirateten im Februar 1922 und reisten im März von Triest aus nach Asien ab. Die Berliner Missionsgesellschaft war zu arm und hatte für die beiden die billigste Transportmöglichkeit auf einem italienischen Frachter gebucht. Die weiblichen und männlichen Passagiere „wohnten“ getrennt in Verschlägen mit einem Vorhang als Tür. Die Waschgelegenheit bestand aus einer Schüssel mit Wasser oben auf Deck im Freien. Die unglaublich strapaziöse Fahrt nach Shanghai durch die Tropen, ohne jegliche Klimaanlage, dauerte fast 2 Monate! Hier stiegen sie um auf einen Dampfer nach Tsingtau. Von dort ging es weiter per Bahn und dann Maulesel-Karren zur ca. 35 km entfernten Kreisstadt Tsimo, vor deren Mauern die Missionsstation lag. Zu der Zeit befand sich auf dieser Station ein einziger deutscher Missionar, Junggeselle und gesundheitlich angeschlagen. Seine Existenz war für die beiden Matzats ganz wichtig, denn sie konnten ja noch kein Wort Chinesisch und benötigten den Kollegen als Dolmetscher gegenüber den Hausangestellten und der christlichen Gemeinde.

Für Dorothea Matzat begann nun ein überaus anstrengendes und arbeitsames Leben: als Ehefrau, als Mutter, als Ärztin, als Sprachschülerin des Chinesischen. Bereits im November 1922 wurde der erste Sohn geboren. (Es folgten bis 1930 noch drei weitere Söhne.) Für die Betreuung der Kinder stand eine Amah zur Verfügung, das Essen wurde von dem chinesischen Koch Hou De-guang zubereitet. Er hat der Familie Matzat vom ersten bis zum letzten Tag gedient, insgesamt 24 Jahre. Da sich herumsprach, daß Frau Matzat eine ausgebildete Krankenpflegerin ist, kamen nun ständig chinesische Frauen und Kinder mit ihren gesundheitlichen Beschwerden zu ihr, die sie ambulant und meist kostenlos behandelte, denn ein Großteil der Bevölkerung war bitterarm. Moderne hygienische Kenntnisse besaß die damalige chinesische Landbevölkerung noch nicht. Deshalb waren Krätze, Ekzeme, Abszesse und Augenkrankheiten (Trachome) weit verbreitet. Außerdem förderten Läuse, Flöhe, Wanzen, Moskitos und Fliegen die Übertragung von Krankheitserregern. Für Dorothea Matzat, und indirekt auch für ihren Mann, hatte diese Patientenbetreuung einen überaus positiven Aspekt. Es ergab sich so ein ganz unbefangener erster Kontakt mit Teilen der chinesischen Einwohner.

Acht Jahre lang, von 1922 bis 1930, war Dorothea Matzat in dieses eben beschriebene Tätigkeitsfeld eingespannt. Der Missionarskollege starb bereits im Herbst 1923, so daß das Ehepaar Matzat nun ganz auf sich gestellt in diesem fremdländischen Umfeld wirken mußte. Ab 1.1.1925 gab es einen entscheidenden Wechsel in der finanziellen Grundlage der missionarischen Tätigkeit. Die Berliner Missionsgesellschaft hatte durch die Inflation von 1923 und die totale Geldentwertung starke Einbußen ihres Stiftungsvermögens erlitten und konnte deshalb nicht mehr alle Missionsfelder in Afrika und China halten. Das Feld in Nordchina mit den Stationen Tsingtau, Tsimo und Kiautschou trat sie an die Unierte Lutherische Kirche der USA ab. Die deutschen Missionare und Missionsschwestern wurden von der amerikanischen Missionsgesellschaft übernommen, denn sie waren eingearbeitet und beherrschten die chinesische Sprache. Die neu hinzugekommenen amerikanischen Missionare mussten sich diese erst einmal aneignen. Die Zusammenarbeit mit den neuen Kollegen bedeutete für Dorothea, daß sie eine weitere Fremdsprache erlernen mußte: Englisch. Für ihre „ärztliche“ Tätigkeit sprudelten nun reichere finanzielle Quellen, und sie konnte ihren Bestand an pharmazeutischen Mitteln erheblich aufstocken.

In den Wintermonaten Januar und Februar 1927 durfte das Ehepaar Matzat sich in Peking aufhalten und dort auf der Sprachschule die Chinesischkenntnisse erweitern. Von Sommer 1928 bis Sommer 1929 verbrachte die Familie Matzat (mit den 3 Söhnen) den Jahresurlaub in Deutschland. Dorothea absolvierte in einer Berliner Apotheke ein Praktikum, um ihre Pharmaziekenntnisse auf den neuesten Stand zu bringen. Die Rückreise nach China ging über die USA und Japan.

Ein schwerer Schicksalsschlag veränderte dann völlig Dorotheas Lebenssituation: ihr Mann starb plötzlich und unerwartet im September 1930. Sie war hochschwanger, im Oktober wurde ihr vierter Sohn geboren. Damit war die Aufenthaltsmöglichkeit in Tsimo beendet. Normalerweise hätte sie nach Deutschland zurückkehren müssen. Die amerikanischen Kollegen hatten aber Dorotheas Qualitäten, ihre Energie, ihre Glaubensstärke zu schätzen gelernt und plädierten bei der Missionsleitung in den USA dafür, sie im Missionsdienst unter den chinesischen Frauen einzusetzen. Die Direktion stimmte zu. 1931 zog die Familie Matzat nach Tsingtau um; dort konnten die älteren Söhne die deutsche Schule besuchen.

Dorothea Matzat war nun eine alleinstehende, voll berufstätige Mutter mit 4 kleinen Söhnen. Möglich war dies nur durch die Mithilfe der chinesischen Angestellten: eine Amah für die Kinderaufsicht nebst Wäschewaschen und Bügeln, der Koch für das Einkaufen und die Essenszubereitung, der Boy für die Hausreinigung, Betreuung der Ziegen und des Gartens etc. Dorothea hat immer wieder betont, daß ohne die Treue und den Einsatz des Koches De Guang sie die ihr gestellten Aufgaben nicht hätte bewältigen können. Hatte in der Tsimoer Zeit der Akzent ihrer Beziehungen zu den Chinesen auf „missionsärztlichem“ Gebiet gelegen, so kam nun in ihrer Tsingtauer Periode (1931-1946) bei der Evangelisationsarbeit unter chinesischen Frauen das zum Tragen, was sie auf der Frauenschule der Inneren Mission (Vorgängerin der jetzigen Evangelischen Fachhochschule Berlin) gelernt hatte: Praktische Katechese. Zusammen mit einer sog. Bibelfrau, also einer chinesischen Katechetin, besuchte sie Christenfamilien, Taufbewerber und auch Nichtchristen, oder sprach auf Frauenversammlungen. Darüber hinaus mußte sie zweimal im Monat Außenstationen im Umland aufsuchen. Die Mehrzahl erreichte sie mit dem öffentlichen Bus. Zwei Orte lagen sogar auf der anderen Seite der Kiautschou-Bucht, die nur per Segelboot (dort Sampan genannt) zu erreichen waren, so daß je nach Windverhältnissen die Überfahrt 2 oder auch 12 Stunden dauern konnte.
Im März 1946 wurde Dorothea Matzat in Tsingtau abends bei Dunkelheit, sie war auf dem Wege zu Bekannten, von einem Auto erfaßt und kam dadurch ums Leben.