Hinzpeter, Hermann (1884 – 1963), Postsekretär

(Die Biographie wurde aufgeschrieben von seiner Enkelin Regine Oswald.)

Mein Großvater, Herrmann Hinzpeter, wurde am 10. August 1884 in Güstrow/Mecklenburg als Sohn eines Eisenbahnsekretärs geboren. Nach Abitur, Einjährig-Freiwilligem (Militärdienst) und Ausbildung zum Postbeamten besucht er im Wintersemester 1908/09 zusammen mit Max Albrecht („Mäxchen“) Schmidt (späterer Kollege in Tsingtau) das Orientalische Seminar in Berlin zur Vorbereitung seines Auslandseinsatzes.

Mein Großvater fuhr im Februar 1909 mit der sibirischen Eisenbahn und dann mit dem Schiff nach Tsingtau, wo er am 05. März 1909 eintraf. Er war im Kaiserlichen Deutschen Postamt   als Postbeamter tätig. Dort lernte er auch seinen Kollegen August Börter kennen. Im nächsten Jahr (1910) baute er zusammen mit Postinspektor Ludwig Schulz ein Wochenendhaus im Lauschan: Die Villa Hinzpeter bzw. wie es in meiner Familie hieß: Villa Bergfrieden.

Er war sehr an Land und Leuten interessiert und unternahm von Tsingtau aus in seiner freien Zeit viele Reisen.

Ab dem 20. August 1910 verbrachte er einen 3-wöchigen Urlaub in Japan mit dem Besuch von Nagasaki, den heißen Schwefelquellen von Unzen sowie der Besteigung des Mount Unzen. Danach fuhr er weiter zur Insel Miyajima und besuchte den Itsukushima-Schrein. Seine Urlaubsreise brachte ihn bis nach Kyoto.

Im Februar 1911 reiste er über Tientsin nach Peking, weiter zu den berühmten Ming-Gräbern und bestieg auch die Große Mauer.

Im Mai 1912 macht er Urlaub bei August Börter in Tsinanfu und besteigt von da aus auch den Taischan und besucht das Grab des Konfuzius.

Für ca. 10 Monate (August 1912 bis Juni 1913) war er auch nach Schanghai an die dortige Post abkommandiert. Diesen Aufenthalt in Shanghai nimmt er auch zum Anlass für viele Ausflüge in die Umgebung, u.a. auch nach Suzhou, dem „Venedig des Ostens.“

Von all diesen Reisen hat er viele Fotos, noch auf Glasplatten, mitgebracht.

Oft verfolgte er an der Tsingtauer Pferderennbahn die Rennen u.a. mit seinen Kameraden als Reiter. Er selbst nahm an Geher-Wettbewerben teil (einmal 3. Preis mit schönem, von Chinesen handgearbeitetem Pokal), oder spielte in einer Theatergruppe.

Im Juni 1913 war es dann Zeit für den lange ersehnten Heimaturlaub (er stand Beamten nach 4 Jahren Dienstzeit im Ausland zu). Die Zeit in Berlin nutzte er für eine Weiterbildung und schloss diese mit der Prüfung zum Postsekretär ab. Außerdem verlobte er sich mit Elisabeth Radke. Im November 1913 fuhr er mit der Sibirischen Eisenbahn wieder nach Tsingtau zurück

Haarnetzfirma

In dieser Zeit (ca. 1913) gründete er mit August Börter und Wilhelm Niggemann in Tsinanfu eine Firma, die Haarnetze nach Europa aber wohl hauptsächlich in die USA exportierte. 1912, nach der chinesischen Revolution, ließen sich alle männlichen Chinesen ihren „Mandschu-Zopf“ abschneiden. So war genug Material vorhanden und die geschickten Chinesinnen wurden im Knüpfen von Haarnetzen unterwiesen. Die in Heimarbeit gefertigten Haarnetze wurden von den Angestellten der Firma Börter/Niggemann/Hinzpeter abgeholt und weiterverarbeitet (sortiert, gefärbt etc.) und dann verschifft.

Die westlichen Damen trugen zu dieser Zeit kunstvolle Hochfrisuren, die vor der Erfindung von Haarspray mit Haarnetzen vor Windstößen und anderer Unordnung geschützt werden mussten.

Mein Großvater war wohl eher stiller Gesellschafter und Herr Börter und Herr Niggemann waren für das operative Geschäft zuständig. Die Firma war sehr erfolgreich. Beim Angriff der Japaner auf Tsingtau 1914 war Herr Börter erfreulicherweise auf Geschäftsreise in den USA. Im Krieg gingen die Geschäfte naturgemäß zurück, aber auch zu dieser Zeit war Herr Börter in geschäftlichen Beziehungen zur USA, bis im Jahr 1917 die USA dann auch in den Krieg eintraten.

Im Jahre 1922 war Herr Börter wieder groß im Geschäft und wurde der „Haarnetzkönig von Shandong“ genannt. Er hat damals u.a. von den Gimble-Brothers aus USA, einem Kaufhauskönig (Kette von Departmentstores inklusive SAKS, 5th-Avenue), einen Großauftrag über mehrere Millionen Dollar erhalten. Börter musste für die Gimble-Brothers Haarnetze in China fertigen lassen und sie dann in die USA verschiffen.

1927 trennt sich Herr Niggemann von Börter und Hinzpeter und eröffnet eine eigene Firma Niggemann &Co.,  die sich dann wohl hauptsächlich in Chefoo (heute Yantai) etabliert.

1932 muss Herr Börter seine Firma liquidieren und teilt dies in einem bedauernden Brief meinem Großvater mit, was einen großen finanziellen Verlust für meinen Großvater bedeutete. Ob es aus politischen Gründen (Warlords in China) oder weltwirtschaftlichen (Oktober 1929, schwarzer Freitag) oder wegen des Bubikopfs, zum Ende dieser Firma kam, lässt sich nicht recherchieren.

Eroberung Tsingtaus durch die Japaner im Jahre 1914.

Nun zurück zum weiteren Lebensweg meines Großvaters.

Am 23.8.1914 erklärte Japan dem Deutschen Reich den Krieg, belagerte und eroberte Tsingtau am 7.Nov. Sie zerstörten u.a. auch die „Villa Bergfrieden/Hinzpeter“. In der letzten Nacht vom 06. auf 07. November 1914 mussten die Postbeamten und abkommandierten Soldaten auch unter Beschuss der Japaner im Postgebäude ausharren und u.a. den Telegrafen bedienen. Kurz vor Mitternacht traf eine Granate das gegenüberliegende Landmann Gebäude (in diesem war die Wohnung meines Großvaters) und die herumfliegenden Balken und Steine beschädigten das Postgebäude, Fensterscheiben gingen zu Bruch. Dies war nach den Schilderungen des Shanghaier Postdirektors Henniger in einem Bericht an das Auswärtige Amt eine sehr nervenaufreibende und auch persönlich gefährliche Nacht. Hinzpeter hatte dann noch die ehrenvolle Aufgabe, zusammen mit Mäxchen Schmidt und dem Postdirektor Philipp die Kaiserliche Post in „geordnetem Rückzug“ den Japanern zu übergeben. Am 16.11.14 war die Übergabe des Kaiserlichen Postamtes an die Japaner dann vollzogen. Anfang Dezember erhielten sie dann endlich nach mehrmaligen Mahnungen von Postdirektor Henniger an die Japaner die Erlaubnis, nach Shanghai auszureisen.

Shanghai

Hermann Hinzpeter lebte dann in Shanghai erst im Hotel Kalee, dann in der Pension Bloch und später in eigener Wohnung in der Bubbling Well Road. Eventuell konnte er noch bis August 1917 bei der Deutschen Kaiserlichen Post in Shanghai arbeiten, die erst dann aufgrund des Kriegseintritts von China geschlossen werden musste.

Elisabeth Radke fuhr zusammen mit Frau Börter und der kleinen Gerti (4 Jahre) im August/September 1915 (es war Kriegszeit und sie erwischten gerade noch den letzten Dampfer, der in die USA fuhr) um die halbe Welt (von Berlin bis Rotterdam mit dem Zug, dann mit der MS Rotterdam nach New York, dort mit dem Zug über die südliche Route nach San Francisco (den Besuch der Weltausstellung ließ sie sich nicht nehmen) und von dort mit der SS Mongolia über Honolulu (Hawai), Yokohama nach Shanghai, um meinen Großvater dort zu heiraten.

Die Hochzeit fand am 25.09.1915 in Shanghai statt. (Trauzeugen Arnold Steffen und Max Albrecht „Mäxchen“ Schmidt). Elisabeth und Hermann machten viele Ausflüge in die Umgebung von Shanghai, u.a. auch nach Suzhou und nach Hangzhou, wo sie den Westsee und die schönen Pagoden besuchten.

In Shanghai kamen dann auch meine Tante (Februar 1917) und meine Mutter (Juli 1918) zur Welt.

In dieser Zeit lebte die ganze Familie quasi auf gepackten Koffern, da die Engländer immer wieder versuchten, Deutsche zu internieren und mit Seelenverkäufern nach Australien zu verschiffen.

Tsinanfu

6 Wochen nach Geburt meiner Mutter im August 1918 musste die ganze Familie aus Shanghai fliehen, da die Engländer wieder einmal wohl die Chinesen veranlassten, alle noch im Lande befindlichen deutschen wehrfähigen Männer ausfindig zu machen und zu verhaften.

Meinem Großvater gelang die Flucht mit seiner Familie in einer 2-tägigen Bahnreise nach Tsinanfu, obwohl er inzwischen an der tropischen Amöbenruhr litt. Seine Frau und das neugeborene Baby waren an Ruhr erkrankt. Er lebte dann dort mit seiner Familie im Hause seines Freundes und Kompagnons August Börter.

Auch in Tsinanfu wurde von den Engländern und Chinesen nach wehrfähigen deutschen Männern gesucht.

H. Hinzpeter und A. Börter bekamen einen Wink und konnten sich in der Praxisklinik eines mit ihnen befreundeten Arztes verstecken.

So geschah es denn bald darauf, dass ein ganzer Trupp chinesischer Soldaten mit Offizieren vor dem Gittertor des Börter´schen Grundstücks sehr energisch Einlass begehrten. Der erschrockene Kanmendi (Torhüter) ließ sie auch in den Hof hinein und schickte schnell Botschaft an Frau Börter und Frau Hinzpeter. Die ließen sofort (längst auf so etwas gefasst) das ganze Haus fest verschließen. (Es waren u.a. 4 Kleinkinder und eine 6jährige (Gerti) darin).

Der ganze Hof und Garten war nun voll mit Soldaten, deren Offiziere mit lauter Stimme Eintritt und Durchsuchung des Hauses nach den beiden Männern forderten. Frau Hinzpeter begab sich nun auf die Veranda im ersten Stock an die Brüstung und fragte, was das Ganze zu bedeuten habe. Der Offizier erklärte, er habe den Auftrag, die Herren Börter und Hinzpeter zu verhaften und dass er deshalb das Haus durchsuchen müsste.

Frau Hinzpeter antwortete sinngemäß: Wie sie, die Herren Offiziere wohl wüssten, dürfe eine anständige Ehefrau in Abwesenheit ihres Ehegatten niemals einen fremden Mann in ihr Heim lassen. Und da ihre Ehemänner nicht daheim seien, wären sie, die treuen Ehefrauen, außerstande, die Herren Offiziere samt Anhang in ihr Haus einzulassen.

Nach kurzer Beratung sahen die Offiziere diesen Grund der Weigerung ein und verließen das Grundstück.

Herr Börter und Herr Hinzpeter waren in der Klinik gut aufgehoben. Bei einem Spaziergang im Klinkgarten wurde ihnen beschieden, aus „ärztlichen Gründen“ sofort ihre Betten aufzusuchen, da uniformierte Chinesen nach 2 Deutschen gefragt hätten und die Klinik durchsuchten. Ohne sich auszuziehen, warfen sich Herr Börter und Herr Hinzpeter in ihre „Krankenbetten“ und zogen sich die Decken bis über das Kinn, wobei Herr Börter wohl etwas zuviel des Guten tat, denn da er auch sehr groß war, schauten bei ihm die Füße in den frisch gewichsten Stiefeln am Bettende wieder heraus. Für Nachbesserung war es zu spät, denn die Häscher standen schon mit dem Arzt im Zimmer und bekamen von ihm einen ausführlichen und bewegenden Bericht über die Schwere der Krankheit der beiden Herren zu hören.

Er muss sie überzeugt haben, denn ohne die beiden „Kranken“ weiter zu belästigen, verließen die chinesischen Soldaten die Klinik. Sicherlich tat auch eine angemessene Entschädigung für ihre aufgewendeten Mühen ein Übriges.

Heimfahrt 1920

Anfang 1920 zog die Familie dann in eine Wohnung im ehemaligen Deutschen Konsulat in Tsinanfu. Im Juli 1920 endlich waren auf einem Schiff, das nach Europa fuhr, noch Plätze frei. Und so fuhr die Familie Hinzpeter von Juli bis September 1920 über Tsingtau, Shanghai, Sabang, Port Said, Suezkanal, Gibraltar, Englischer Kanal mit der UME MARU nach Hamburg. Auf dem Schiff lernte mein Großvater den bekannten Missionar und Sinologen Richard Wilhelm kennen und tauschte sich sehr intensiv mit ihm über Religion und Philosophie aus. Auch Erwin Lang, ein österreichischer Kunstmaler, ehemaliger Sibiriengefangener, und Ehemann einer der Wiesenthal-Schwestern (bekannte Tänzerinnen) fuhr mit ihnen auf der UME MARU nach Europa. Er freundete sich mit meiner Großmutter an und malte sie auf der Überfahrt. Am 30.09.1920 trafen sie endlich in Hamburg ein.

Wieder daheim

Die Familie siedelte sich dann in Schwerin an, da mein Großvater ursprünglich aus dieser Gegend stammte. Er wurde aufgrund der schweren Amöbenruhr, gegen die es damals keine Medikamente oder Heilmethoden gab, zum 1.1.1923 mit 39 Jahren frühpensioniert.

Aufgrund seiner Krankheit und in der Hoffnung auf sonnigeres Klima zog die Familie Hinzpeter in den Süden von Deutschland nach Freiburg im Breisgau.

Gerti Börter war auch, wohl zur Vervollständigung ihrer Schulbildung, einige Jahre in dem Töchterheim von Flora Athenstaedt in Freiburg untergebracht. Weihnachten 1927/28 verbrachte Gerti Börter (älteste Tochter von August Börter) in Freiburg bei Hinzpeters und auch einige Bilder von gemeinsamen Ausflügen sind noch erhalten. Später ist sie wieder nach China übergesiedelt und hat in der Firma ihres Vaters gearbeitet.

Dank der aufopferungsvollen Pflege meiner Großmutter und seiner Selbstdisziplin (meistens nur gekochter Haferbrei als Nahrung) wurde mein Großvater noch 79 Jahre alt, er verstarb im Mai 1963.

Quellen:

Fotos, mündliche und schriftliche Überlieferung in der Familie.

Archiv von Prof. Dr. Wilhelm Matzat, Bonn.

Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg.

W. Schmidt, H. Werner: Geschichte der Deutschen Post in den Kolonien u. i. Ausland.                                                        Leipzig: Konkordia Verlag 1942

PS: Sollte irgendjemand Informationen über meinen Großvater, August Börter oder Wilhelm Niggemann und dessen Nachfahren oder die Haarnetzfirma haben, wäre ich über eine Nachricht sehr dankbar.

(Dieser Text wurde veröffentlicht im Info-Heft Sept. 2010 des Studienwerks Deutsches Leben in Ostasien e.V.)